
„Österreichische Fahrrad- und Automobil-Zeitung – 15.Oktober 1906„
„Das Semmering-Rennen“
Da die letzte Ausgabe unseres Blattes am 25. v. Mts. zwei Tage nach dem Semmeringrennen erschien, kommt unser Bericht über das Rennen etwas verspätet. Das Semmeringrennen, die größte automobilistische Veranstaltung des österreichischen Automobilklubs oder wie es auch genannt wird, das automobilistische Derby, ist gefahren und der Verlauf des Rennens bedeutete einen neuen Erfolg des österreichischen Automobilklubs respektive dessen Sportkommission, welche aus den Herren Graf Hugo Boos-Waldeck, Valentin Kadlczik und Architekt Quidenus besteht. Es darf jedoch auch nicht die tätige Mitwirkung des Generalsekretärs des Österreichischen Automobilklubs, Herrn Fasbender, vergessen werden.
Das diesjährige achte Semmeringrennen bildet insofern einen bedeutsamen Abschnitt in der Geschichte dieser Konkurrenz, als der wertvolle Gurschnersche Wanderpreis durch den nunmehrigen, in ununterbrochener Reihenfolge errungenen dritten Sieg in der Person des Herrn Theodor Dreher einen definitiven Besitzer fand. Der Automobilklub hatte den Wanderpreis im Jahre 1901 mit der Bestimmung ausgeschrieben, dass die Trophäe demjenigen zufallen solle, der im Semmeringrennen dreimal die beste Zeit unter allen Konkurrenten zu erzielen vermöge. Im Gründungsjahr gewann der heutige Vizepräsident des österreichischen Automobilklubs, Dr. Richard v. Stern, auf einem 35 PS Mercedes das Rennen. 1902 siegte Weiner, heute Leibchauffeur des deutschen Kaisers, auf einem 40 PS Mercedes des verstorbenen Multimillionärs Mr. Gray Dinsmore. Im Jahr 1903 wiederholte Mr. Gray Dinsmore den Sieg des Vorjahres mit einem 60 PS Mercedes, gesteuert von Braun. 1904 bewarb sich Herr Theodor Dreher erstmals um den Wanderpreis mit einem 80 PS Mercedes. Für die Fahrt hatte Herr Dreher wiederum den vorzüglichen Rennfahrer Braun gewonnen. Auch im nächsten Jahr, 1905, saß Braun am Steuer eines 100 PS Mercedes, gehörig Herrn Theodor Dreher, und erzielte die beste Zeit aller Konkurrenten. Schließlich gelang es Braun in diesem Jahr auf einem 120 PS die Bedingungen der Propositionen zu erfüllen und zum dritten Mal für Herrn Theodor Dreher im Semmeringrennen siegreich zu bleiben. Braun hat eine bisher in einem Rennen unerreichte Leistung vollbracht, indem er in vier aufeinanderfolgenden Semmeringrennen der Sieger wurde.
Infolge der bevorstehenden, überaus spannenden Entscheidung hatten sich am Tag des Rennens zahlreiche Persönlichkeiten der automobilistischen Welt am Semmering eingefunden. Prinz Elias von Parma, der Ehrenpräsident des österreichischen Automobilklubs, Graf Gustav Pötting, Prinz Alexander Solms-Braunfels, der Präsident des österreichischen Automobilklubs, mit seiner Gemahlin Esperance, Graf Oskar Bopp v. Oberstadt, Präsident des Bayerischen Automobilklubs, sowie die Grafen Julius Szechenyi sen. und jun., Leopold Kolowrat, Hugo Boos-Waldeck mit Gemahlin, Siegfried Wimpffen, Ghorinsky mit Gemahlin, Van der Straaten, Gräfin Lützow, Leutnant Grat Schönfeld, die Barone Haas und Locatelli, Dr. Richard von Stern, Vizepräsident des österreichischen Automobilklubs, Hauptmann Wolf, der Präsident der Motozyklistenvereinigung des österreichischen Automobilklubs, Robert Siercke mit dem Vizepräsidenten Architekten Johann Eustachio, Rittmeister v. Umlauft, Herr Theodor Dreher, Fräulein Jellineck—Mercedes, Herr Ferdinand Jellineck—Mercedes, Generalsekretär der Mercedes-Betriebsgesellschaft Herr Ferdinand Spiegel mit Gemahlin, Anton Spanner, Dr. Egon Spanner, Generaldirektor Persival, Bob Mautner, Ingenieur Porsche, die Mitglieder der Sportkommission Franz Quidenus und Valentin Kadlczik, Herr Bukovits, vom Ungarischen Automobilklub Vorstandsmitglied Josef Torley v. Szantaver und Josef Farkasch; der Steiermärkische Automobilklub war vertreten durch den Präsidenten Oberingenieur Wiesler, Dr. Wiesler, Ingenieur Rumpf, Prokurist Gugl, Georg Pichler, und Hans Schiller; vom Kärntner Automobilklub waren anwesend: Vizepräsident Knoch, Sekretär Johann W. Adler, dann die Herren Fuchs, Wurm, Wenger und Pucher. Ferner sah man die Herren: Direktor Fischer (Wiener-Neustadt), Direktor Fischer v. Röslerstamm, Automobilfabrikant Horch aus Zwickau, Direktor Kuhlemann, Ludwig Lohner, Ingenieur Bierencz, Anton und Karl Armbruster, Johann Puch, Wilhelm Brunnbauer, Fritz Fürst, J. König, Edgar Aub, Hollender, Prokurist Kölbel, Ingenieur Jonasz, Karl, Heinrich und Franz Gräf, Willi Stift, Brüder Weiser, Karl Adler, Rudolf Mandl, Friedmann (Denes& Friedmann), Ingenieur Franz, usw.
Dem Zug der Zeit folgend, hat sich auch das Semmeringrennen einer Wandlung gefallen lassen müssen. Wohl nahm auch diesmal noch die Konkurrenz der Rennfahrzeuge das Hauptinteresse in Anspruch, und der Start der motorischen Ungeheuer war die Sensation des Rennens. Aber die Zahl der Rennwagen war in verschwindender Minorität gegenüber den vielen Tourenwagen, die in Konkurrenz traten. Das ist die natürliche Entwicklung des Automobilsports. Die Industrie kann ruhig auf die Beweise, die Rennwagen zu bieten vermögen, verzichten, wertvoll hingegen sind ihr die Leistungen der Tourenwagen bei einer so scharfen Prüfung, denn durch diese wird die Verwendbarkeit und Zuverlässigkeit des Automobils demonstriert und dem Käufer ein Anhaltspunkt für den Wert der einzelnen Marken geboten. Das System, die Tourenwagen in möglichst viele Kategorien auf Grund des Zylinderinhalts zu teilen, hat sich außerordentlich bewährt. Denn mit der Zahl der Kategorien wachsen im gleichen Verhältnis die Chancen der Bewerber, deren Ambition und Startlust dadurch naturgemäß gefördert wird. Das Interesse für das Rennen aber wird dadurch, dass jeder gut erhaltene Wagen Chancen hat, ein allgemeines. Jede Kategorie bildet ein eigenes Rennen, in jeder Kategorie gibt es Sieger und Rekorde, die zu schlagen die Aufgabe des Spezialehrgeizes im nächsten Jahr ist.
Die Strecke selbst stellt trotz ihrer Kürze von 10 km an die Leistungsfähigkeit der Fahrzeuge große Anforderungen, da sie dauernd in starker Steigung aufwärts führt. Der Höhenunterschied zwischen dem Start und Ziel beim Hotel „Erzherzog Johann“ beträgt 400 m, die größte Steigung 8,2 Prozent. Die vorhandenen zahlreichen Kurven erfordern ein entschlossenes, kaltblütiges Fahren und viel Training.
Die Rennstrecke Schottwien—Semmering befand sich trotz des vorhergegangenen anhaltenden Regenwetters in vorzüglicher Verfassung. Das Hauptinteresse konzentrierte sich natürlich auf die großen Rennwagen; Herr Dreher war so glücklich mit seinem von Braun meisterhaft gesteuerten 100 PS Mercedes den Wanderpreis zum dritten Mal in ununterbrochener Reihenfolge zu gewinnen, wobei der im Vorjahre aufgestellte Rekord von 8:57 3/5 um 3 4/5 Sekunden gedrückt wurde. Braun fuhr die 10 km mit 400 m Höhenunterschied in 7 Minuten 47 Sekunden, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 77 km pro Stunde entspricht. Direktor Willy Poege aus Chemnitz blieb 5 Minuten hinter Braun zurück, und da nach seinem Eintreffen bereits mehr als 5 Minuten verstrichen waren, ohne dass von dem laut Vorschrift 4 Minuten nach ihm gestarteten Braun etwas zu sehen oder zu hören war, hielt man Poege bereits für den Sieger. Als man jedoch das Knattern des 100 PS Mercedes vernahm, und wenige Minuten später sauste Braun mit unheimlicher Geschwindigkeit über das Zielband. Auf Befragen erklärte er, dass er aufgrund eines hindernden Fuhrwerks erst 8 Minuten nach Direktor Poege abgelassen worden war. Nun war an dem Sieg Drehers nicht mehr zu zweifeln, und dem populären Sportsmann wie nicht weniger dem wackeren Fahrer wurden lebhafte Ovationen bereitet. Man versuchte sogar, sie auf die Schultern zu heben, was insbesondere bei dem stattlichen Gewicht Herrn Drehers mit einigen Schwierigkeiten verbunden war.
Von den übrigen Leistungen verdient diejenige des Fahrers Fritz Erle aus Mannheim, der auf seinem 40 PS Benz-Tourenwagen in 9 Minuten 56½ Sekunden nicht nur die beste Zeit seiner Kategorie, sondern auch eine bessere Zeit als der Sieger der nächsten Kategorie stärkerer Wagen erzielte, besondere Erwähnung. Sehr gut schnitten auch die Opel-Darracq-Wagen ab. So feierte Herr Otto Beyschlag in der Gruppe VII auf seinem 12 PS Opel-Darracq einen überlegenen Sieg, wobei der Vorjahresrekord 20:40½ weit übertroffen wurde. Es wird wohl selten vorkommen, dass ein Rekord in einem Jahr um mehr als 5 Minuten geschlagen wurde. Die Marke Opel-Darracq kann auf ihren Erfolg stolz sein: Sechs gestartete Daracq errangen 2 Erste, 2 Zweite und 2 Dritte Preise.
In der Kategorie für kleine Wagen debütierte die neue Laurin & Klement-Voiturette mit großem Erfolg. Von den drei gestarteten Fahrzeugen dieser Marke wurden der erste, zweite und vierte Platz in sehr guten Zeiten besetzt. Bei dem Dion-Bouton-Wagen, mit dem Direktor Plum, der Firma Fritz Fürst, an dieser Konkurrenz teilnahm, entwich bald nach dem Start die Luft aus dem Pneumatik eines Vorderrades, durch welches Missgeschick Direktor Plum um seine sonst sehr guten Siegeschancen kam.
Bei der Konkurrenz der leichten Motorräder kam es zu einer kleinen Demonstration, indem die übrigen Genannten sich weigerten, gegen die in dieser Kategorie gemeldeten Maschinen der Firma Puch zu starten, indem sie und nicht ganz zu Unrecht behaupteten, dass sie mit ihren Tourenmaschinen gegen die als Rennräder gebauten und bei einem Gewicht von 35 kg mit einem zweipferdigen zweizylindrigen Viertaktmotor versehenen Maschinen nicht aufzukommen vermögen. Immerhin entsprachen diese Maschinen den Propositionen, und da für diese Fahrzeuge keine eigene Gruppe für Rennmaschinen vorgesehen war, mussten sie allein der einen offenen vereint werden.
Es hätte sich empfohlen, in dieser Klasse eine Unterabteilung zu machen, da gerade dem leichten Motorrad ein großes Interesse entgegengebracht wird und der Rücktritt der übrigen Marken vom Start der Konkurrenz viel Interesse genommen hat. Immerhin hat die Firma Puch mit ihren leichten Motorrädern ein Kunststück geliefert. Den Einwand, dass die von ihr gestellten Maschinen Renn- und keine Tourenmaschinen sind, muss man wohl gelten lassen, doch beabsichtigt die Firma im Jahr 1907 leichte Motorräder auf den Markt zu bringen, welche das Gewicht von 35 kg nicht überschreiten werden. So unglaublich dies auch klingt, müssen wir es doch glauben, denn bei Altmeister Puch ist eben nichts unmöglich. Die Zeiten (10:13, 10:16 ½, 11:06 ½), welche die bewährte Puchmannschaft Wetzka, Nikodem, Obruba in dem Rennen erzielten, sind jedoch ein fabelhafter Erfolg, welcher sich den bisherigen Erfolgen der Firma würdig anreiht.
In den Kategorien der schweren Motorräder errang Graf Sascha Kolowrat auf seinem Laurin & Klementrad als Amateur einen Erfolg, auf den jeder Berufsfahrer stolz sein könnte. Das bravouröse Fahren des jungen Aristokraten verhalf der altbewährten Marke zu einem neuen schönen Erfolg.
Eine ganz vorzügliche Leistung, die nicht unerwähnt bleiben darf, war jene der Frau Elfriede Hatschek auf ihrem Piccolo. Wenn man bedenkt, dass der Wagen mit seinem luftgekühlten Motor Fünfter wurde und eine keineswegs leichte Konkurrenz hatte, so muss die Leistung als sehr gut bezeichnet werden.
Einen schönen Erfolg brachte das Semmeringrennen der Firma Denes & Friedmann, Wien, XVIII., Mitterberggasse 11. Abgesehen davon, dass bei einer großen Anzahl von Wagen bereits das neue Kugellager der Firma, Marke D.&S., Verwendung fand und sich bestens bewährte, errang die Firma mit ihren Boschzündungen einen Erfolg, auf den sie stolz sein kann. Nicht weniger als 26 Maschinen, darunter alle die großen Rennwagen, hatten Boschzündungen, welche wie immer tadellos funktionierten.
Im Nachstehenden geben wir die Ergebnisse der einzelnen Rennen wieder:
- Leichte Motorräder bis 35 kg. I. J. Wetzka—Puch 10:13, II. Nikodem—Puch 10:16 ½, III. L. Obruba Puch 10:06 ½. Die übrigen Konkurrenten starteten nicht, mit der Einwendung, dass die Puch-Maschinen Rennräder und keine Tourenfahrzeuge seien.
- Motorräder bis 65 kg. I. Alexander Graf Kolowrat—Laurin & Klement 9:38, II. F. Gzerniel—Rößler&Jauernig 10:03 ½, III. Radetzky—Achilles außer Konkurrenz 12:50. Rausch gab auf.
- Tourenwagen bis 8,5 Liter Zylinderinhalt. I. Herrn A. Drehers Mercedes—Braun 8:44 ½ (alter Rekord 8:57 3/5).
- Rennwagen von 250 bis 400 kg. I. Joerns Rüsselsheim—Opel-Darracq 8:46 (alter Rekord 8:52 ½).
- Tourenwagen bis 1,5 Liter Zylinderinhalt. I. Ingenieur Slevogt—Laurin & Klement 17:26, II. O. Kollarz—Laurin & Klement 17:35 ½, III. G. Joerns—Opel-Darracq 19:16 ½, IV. Wondrich 20:42 ½, V. Frau Elfriede Hatschek 24:52 ½, VI. Direktor Plum—Dion Bouton, trotz Pneumatikdefekt 27:40.
- Tourenwagen bis 2,5 Liter Zylinderinhalt. I. Otto Beyschlag—Opel-Darracq 15:20, II. J. Löffler Peugeot 17:26, III. Josef Klika—Dion-Bouton 18:10, IV. Trümmer—Bock & Hollender 18:45 ½, V. Bleiweiß—Peugeot 20:13 ½, VI. Paquette 20:43 ½.
- Tourenwagen bis 3,5 Liter Zylinderinhalt. I. R. T. Milch—Bock & Hollender 14:23 ½, II. F. Monson—Opel-Darracq 14:44 ½, III. Baumann—Gräf & Stift 17:06 ½, IV. Engelbrecht—Gräf & Stift 17:25, V. Andrä—Spyka 18:09 ½.
- Tourenwagen bis 6 Liter Zylinderinhalt. I. F. Erle, Mannheim—Benz 9:56 ½, II. O. Hieronimus—Spitz 10:18, III. O. Zeis—Mercedes 12:07 ½, IV. O. Pollak—Mercedes 12:11.
- Tourenwagen bis 8,5 Liter Zylinderinhalt. I. Gh. Deplus—Pipe-Wagen 10:14 ½, II. F. Opel Opel 10:15, III. Seidl—Drehers Mercedes 10:44 ½, IV. A. Wiesner—Brasier 11:28 ½, V. Max Lauffer—Benz 11:44, VI. Dir. Burchart—Mercedes 11:45, VII. R. Koch—Opel 13:17 ½.
- Rennwagen von 650 bis 1000 kg. I. H. Braun—Drehers Mercedes 7:47, II. Dir. Poege—Mercedes 7:58 ½, III. Demogeot—Opel 8:11 ½ (Alter Rekord 7:50 ½).
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